Gesine Hopstein Kunst - Bildung - Forschung
Gesine HopsteinKunst - Bildung - Forschung                                                              

Malerei

O.T. 2004 Acryl auf Leinwand 90x110cm
O.T. 2004, Acryl auf Leinwand 90x110cm

weitere Arbeiten

I. Organische Zellstrukturen im malerischen Prozess

 

Die Oberflächen der Bilder versuchen meine Seherlebnisse wiederzuspiegeln, die mir beim Betrachten von Flächen mit eigenartiger Struktur, auch einer noch so subtilen und feinen, wiederfahren.

In meiner Malerei interessiert mich, diese Qualität von Oberflächen nachzuempfinden und Materialität und Stofflichkeit der Strukturen in Farbe und Farbauftrag aufzulösen.

 

 

1. Einleitung

„Organische Zellstrukturen im malerischen Prozess“ lautet das Thema dieser Arbeit. Dabei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, welche ich zunächst kurz nennen möchte, um sie später genauer zu erläutern.

Das Organische bezeichnet sowohl die Malweise als auch die Formsprache der Zellstrukturen, die hier als Formassoziation auftreten. Das Wort Struktur ist aber nicht nur im Zusammenhang mit dem Netz der Formen zu nennen, es steht für eine eigene Qualität der Flächendifferenzierung, die zunächst von der Form losgelöst betrachtet werden kann. Für das Entstehen dieser Qualität ist unter anderem der malerische Prozess von großer Bedeutung, der diese erst entstehen lässt. Der Malprozess befindet sich mit allen Aspekten im Zusammenspiel. 

Zwei Aspekte, die in dieser Arbeit besondere Bedeutung haben, haben mich zunächst getrennt voneinander interessiert. Zum einen ist da die Form als Umrisslinie im Zusammenhang mit anderen grafischen Elementen, zum anderen gilt mein Interesse Flächen mit differenzierter Strukturierung und deren Entstehung.

 

2. Zellformen Formfindung

Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit organischen Formen, die zunächst noch an einen Gegenstand aus der Natur gekoppelt sind. Die Auseinandersetzung mit diesen Formen geschieht mit vorwiegend grafischen Mitteln, wobei der Strich sich zunehmend verselbständigt. Schließlich ist die Form zur amorphen Form geworden, die eher Anlass zur experimentellen Graphik ist als abgebildeter Gegenstand. Die Formentwicklung findet von nun an völlig losgelöst von Vorbildern aus der Natur statt und lässt später höchstens Assoziationen zu diesen zu.

So ist es auch mit den Formen dieser Arbeit. Sie haben keine gegenständlich gemeinten Entsprechungen in der Natur. Der Begriff Zellstrukturen gibt eher den Assoziationsgegenstand wieder, den Sammelbegriff für diese Art von Formen. Die Zelle ist hier mit ihrem runden Körper zur zweidimensionalen Urform geworden, die durch spielerisches Weiterentwickeln leichte Veränderungen und Metamorphosen erfährt.

Das grafische Element, die Linie, wird nun in die Malerei übersetzt als Umrisslinie. Sie bleibt aber auch selbständig als wichtiges Element der malerischen Bildsprache vorhanden. Sie ist nicht nur Attribut zur Form als Tentakel oder ähnliches Element. Sie ist wichtiges kompositorisches und stilistisches Moment in fast allen Arbeiten. Ihre Angebundenheit an die Form lässt sich auch am Material ablesen. Ist die Linie mit Acryl, dem selben Material, mit dem die Zellformen gemalt sind, gezogen, bleibt sie eng an die Form gebunden. Besteht sie jedoch aus Kreide oder Tusche, löst sie sich zunehmend auch formal von der Form und verselbständigt sich. Sie wird eigenständiges Bildelement.

Eine Entsprechung finden die frei entstehenden Formen in den inneren Strukturdifferenzierungen, die folgend erläutert werden sollen.

 

3. Flächenstrukturen Strukturentstehung

In der Natur und Umwelt lassen sich viele Beispiele für wunderschöne Flächenstrukturen finden. Langsames Einwirken verschiedener Faktoren haben in einem langsamen Entstehungsprozess interessante Muster und Farbverläufe geschaffen. Rost ist ein Beispiel, oder die Stelle am Boden unter der tropfenden Regenrinne. Das Entdecken solcher Stellen sind wunderbare Seherlebnisse.  Die Aufmerksamkeit für solche Aspekte sind auch bei meiner Arbeit wichtig.

In der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts bedienen sich Künstler solcher Phänomene aus der Natur und thematisieren so nicht nur die Struktur für sich, sondern auch den allmählichen Entstehungsprozess, der immer weitergeht. Sigmar Polke mit seinen Chemikalien- und Mineralfarbbildern und Dieter Roth mit seinen Schimmelgraphiken sind hierfür gute Beispiele. Sigmar Polke benutzt bei einer Serie Mineralfarben und Chemikalien, die Miteinander reagieren und bestimmte Form-, Farb- und Struktureffekte erzeugen. Dabei ist die Entwicklung des Bildes dem Zufall überlassen. Die Wirkung lässt sich nur geringfügig steuern. Ähnliches passiert auch wenn Dieter Roth mit Lebensmitteln arbeitet, welche nicht weiter konserviert werden, sondern sich beim Zusammentreffen von Luft, Bakterien und Pilzsporen verändern. Das Einwirken der Chemikalien und der Zerfallsprozess unter der Einwirkung des Schimmelpilzes sind die Faktoren, die mehr oder minder zufällige Strukturen entstehen lassen und auch wieder zerstören, wie es in der Natur der Fall ist.

In meinen Bildern versuche ich diese Qualität von langsam und zufällig entsehenden Maserungen, Mustern und Farbverläufen mittels der Malerei nachzuempfinden und lasse den Zufall dabei auch eine Rolle spielen. Nur die eigenständige Weiterentwicklung und der Zerfall der entstandenen Strukturen wie bei Polke/Roth sind hier ausgeklammert oder zumindest nicht so stark provoziert. Diese Faktoren spielen eher im gesamten Malprozess eine Rolle, bei dem auch bereits Erreichtes durch Übermalungen wieder zerstört oder verändert wird.

Den stofflichen und dreidimensionalen Charakter der Strukturen in der Natur und den genannten Beispielen aus der Kunst versuche ich vollständig in Malerei aufzulösen und behalte dazu auch meist einen eher vertriebenen Pinselduktus im Gegensatz zu einem möglichen pastosen Farbauftrag, der auch denkbar wäre, um interessante Strukturen zu erreichen, wie man es bei Informel- und Tachismuskünstlern wie z.B. Jean Fautrier sehen kann, dessen Bilder zum Teil sogar einen Reliefcharakter haben.

Um bestimmte Strukturen zu erreichen bediene ich mich verschiedener sogenannter Zufallsverfahren wie Décalcomanie (Abklatschverfahren) oder Dripping (Fließverfahren). Diese experimentellen Verfahren werden wegen ihrer nur wenig steuerbaren Wirkungsweise Zufallsverfahren genannt. Mit ihrer Hilfe kann man aber den Zufall bis zu einem gewissem Grad gezielt einbringen.

Bei der Décalcomanie wird Farbe auf den Bildträger gebracht und ein Blatt Zeichenkarton daraufgedrückt, festgestrichen und schließlich wieder abgezogen. Auf dem Bildträger bleibt durch das Quetschen und Verschieben der Farbe eine typische Struktur zurück.

Das Fließverfahren, auch Dripping genannt, wandele ich etwas ab, um eine andere Fließspur zu erlangen. Bevor die flüssige Farbe auf den Bildträger aufgebracht wird, wird dieser vorbehandelt. Dazu benutze ich einen Glanzüberzug, Capaplex, der die Oberfläche glatt werden lässt und die Faser der Leinwand abschließt, also keine Farbe direkt in die Faser eindringen lässt. Dieser Auftrag bewirkt, dass die flüssige Farbe nicht einfach gerade als einzelner Rinnsalstreifen herunterläuft, sondern abperlt und adrig und verästelt Maserungen bildet. Diese entstehen auch, wenn man flüssige Farbe nicht als Dripping aufträgt, also fließen lässt, sondern eine Fläche mit flüssiger Farbe bemalt, ohne dass ein Dripping im eigentlichen Sinne entsteht.

Diese Strukturen bleiben jedoch nicht alleine stehen, sondern werden in einem ständigen Prozess überlagert und übermalt. Diaphane Schichten werden immer wieder übereinandergesetzt, bis eine bestimmte Qualität der Fläche erzeugt ist. Dieser längere malerische Prozess korrespondiert mit dem Entstehungsprozess in der Natur.

Eine bestimmte Tiefe entsteht nach und nach im langwierigen Prozess.

Da in der Gestaltung der Zellformen auf  räumlichen Illusionismus verzichtet wird, entsteht der einzige räumliche Eindruck durch das Überlagern, Staffeln und Durchscheinen- und Durchschauenlassen. Dabei lasse ich nicht nur Durchblick durch diaphane Schichten, sondern lasse auch „Löcher“ in diesen Schichten, welche wiederum zu Zellformen werden. Die möglichen unterschiedlichen Blickweisen auf diese Öffnungen, die den Raum nach hinten oder nach vorne erweitern können, ist ein wichtiger Aspekt in dem Spannungsfeld von zweidimensionaler Farbstudie und Darstellung von räumlich werdenden Strukturnetzen.

 

4. Zeichnungen und Skizzen

Vor und parallel zu den Bildern entstand ein Skizzenbuch. Die Zeichnungen darin sind jedoch nicht bloß als Vorstudien gemeint, sondern als eigenständige Werke zu verstehen. Die Auseinandersetzung mit Form und Linie, die hier geschieht, fließt schließlich in die Malerei mit ein. Zu Komposition und Farbe entstehen keine Skizzen, denn diese entstehen während des Malprozesses in jedem Bild neu. So entstehen auch meist offene Kompositionen.

Meine bevorzugten Materialien bei den Zeichnungen sind Tusche, wasservermalbare Ölkreiden und Farbstifte, welche auch bei den graphischen Elementen in den Malereien Einsatz finden. Die Tusche findet in verschiedenen Formen Anwendung. Zum einen verwende ich einen chinesischen Tuschestab, den ich aber nicht zu Pulver verreibe und mit Wasser anrühre, sondern direkt anfeuchte und als kreideähnlichen Stift einsetze. Die kreideähnliche Textur hat eine ganz eigene sehr reizvolle Beschaffenheit. Außerdem stelle ich auch selber farbige Tusche her, indem ich solche Tuschestäbe im üblichen Sinne an einem Reibstein zu Pulver verarbeite und dieses mit durchsichtiger Tusche anrühre.

Die Mischung aus freier gestischer Linie und aquarellierten Flächen kommt der Herangehensweise in der Malerei schon nahe. Nur werden hier keine allmählichen Übermalungen eingesetzt, auch wenn es trotzdem zu Überlagerung von Farbschichten kommt. So sind die ersten Zeichnungen auch eher schwarz und linear gehalten. Später kommen die Farbe und auch die Fläche vermehrt dazu.

 

5. Farbe

In den meisten Bildern beschränke ich mich auf verschiedene Rotvaleurs. Die Farbe Rot erschien mir besonders gut zu korrespondieren mit dem organischen Formgeflecht. Auch unterstützt sie einen bestimmten assoziativen Charakter der Zellformen. Jedoch ist das Rot nicht als Lokal- oder als Erscheinungsfarbe gemeint (es bezeichnet also kein Blut).

Das Grün bedeutet für mich als Komplementärfarbe ein gutes Äquivalent zum Rot. Auch hier sind die Formassoziationen durch die Farbe unterstützt. Daher entscheide ich mich, bei einigen Bildern für die Dominanz von Grünvaleurs.

Insgesamt sind die Arbeiten meist von hoher Farbintensität und -qualität. Die Leuchtkraft von Farben zu steigern ist für mich ein reizvoller Aspekt in der Malerei. Es lenkt bei diesen Arbeiten von den subtilen Farbdifferenzierungen der Strukturen ab. Die starke Farbigkeit im Zusammenhang mit dem Thema irritiert den Betrachter und lässt ihn erst bei genauem und näheren Betrachten der Oberfläche alle Farbnuancen und Maserungen wahrnehmen.

Die starke Farbigkeit betont für mich außerdem den Aspekt der Malerei, statt nur einem Thema, einem Sujet zu dienen.

 

Druckversion | Sitemap
© Gesine Hopstein